Kaum jemand hat sich in den letzten Jahren so entschlossen für mehr Diversity, Equity und Inclusion in der Branche stark gemacht, wie er: Simon Usifo. Er zählt zu den stärksten Persönlichkeiten der Agentur-Szene. In der Kategorie Brave Heart von THE BEST AGENCY 2021 wird er nun von der Kunden-Jury für seinen Mut und sein Engagement ausgezeichnet. Nominiert worden war er von Matthias Meusel, Chief Growth Officer Exporo AG & Propvest. Vivien Fitzer hatte die Gelegenheit mit beiden zu sprechen.

Simon Usifo (links) & Matthias Meusel (rechts)

Vivien: Simon, was sind momentan die Herausforderungen im Agenturmarkt und wie gehst Du in deiner Rolle damit um?

Simon: Aus meiner Sicht gibt es zwei zentrale Herausforderungen. Erstens verkaufen wir uns unter Wert. Kreativität gilt als einer der wichtigsten Zukunfts-Skills. Darüber sind sich alle Expert:innen einig, bis hin zum World Economic Forum. Und was machen wir? Verkaufen weiterhin Stunden. Das zieht eine ganze Reihe an negativen Folgen nach sich. Dazu zählt beispielsweise die permanente Überlastung von Leistungsträger:innen, da die Agentur-Ressourcen begrenzt und der Pool an Talenten, Fach- und Führungskräften nun einmal endlich ist. Klar investieren wir ins Recruiting und Mental-Health-Programme. Aber um das Problem an der Wurzel zu packen, müssen wir innovative Vergütungsmodelle etablieren, wie wir sie bei Ogilvy immer wieder versuchen. Wir denken hier beispielsweise an moderne Varianten des Value-Based-Pricings oder erfolgsabhängige Komponenten, die direkt an Leistungskennziffern geknüpft sind. Zugegeben: Es ist nicht einfach, solche Standards beim Kunden zu etablieren. Hier darf die Branche gerne noch enger zusammenarbeiten.

 

Vivien: Und die zweite Herausforderung?

Simon: Die zweite Herausforderung betrifft Diversity, Equity & Inclusion. Alle reden davon, aber eine fundamentale Veränderung ist leider nicht zu erkennen. Es geht eben nicht nur darum, Punkte auf einer To-Do-Liste abzuhaken, um das Thema schnell wieder ad acta zu legen. Oder auf einen Zug aufzuspringen, um die eigenen Interessen unter dem Deckmantel der sozialen Verantwortung voranzubringen. Maßnahmenkataloge, Zielgrößen, dezidierte Budgets – all das ist wichtig. Aber eine echte Transformation setzt bei der Unternehmenskultur an. Erst wenn DE&I in die DNA der Agentur übergegangen ist, werden wir Erfolge feiern können. Nur dann wirkt das Thema in alle Bereiche hinein, vom Recruiting über die Prozesse, die Kommunikation bis hin zum kreativen Produkt.

 

Vivien: Wie hält es Ogilvy mit dem Thema?

Simon: Unser CEO Björn Bremer hat DE&I zum Glück zu seinem Thema gemacht, damit es nicht bei Lippenbekenntnissen bleibt. So konnten wir zum Beispiel in den vergangenen 18 Monaten den Frauenanteil in Leadership-Positionen von 33 Prozent auf 41 Prozent steigern. Das ist noch lange nicht genug. Aber wir folgen einer klaren Strategie, die uns in naher Zukunft auf einen Anteil von 50 Prozent bringen soll. Es ist auch kein Zufall, dass unser Management-Team über den hohen Frauenanteil hinaus divers besetzt ist. Es gibt mehrere Personen mit Migrationshintergrund, mit Behinderung, ein breites Altersspektrum und mit mir auch eine POC.

 

Vivien: Matthias, warum hast du Simon als Brave Heart nominiert? Was differenziert Simon für dich von anderen Persönlichkeiten im Agentur-Markt?

 Matthias: Simon hat in den letzten Jahren in unserer Branche auf vielen Ebenen authentisch und selbstlos Gesicht gegen Rassismus gezeigt und mutig Probleme durch seine eigenen Erfahrungen und Geschichten offengelegt. Das macht ihn zum Vorbild und Brave Heart. Ich bin stolz darauf, dass wir Persönlichkeiten wie Simon in unseren Reihen haben und möchte ihn mit der Auszeichnung ermutigen weiterzumachen.

 

Vivien: Was hat dich dazu gebracht, dich für das Thema Diversity und gegen Rassismus zu engagieren, Simon?

Simon: Ich habe Zeit meines Lebens Rassismuserfahrungen gemacht. Ein Stück weit war das für mich normal und es war auch normal, dass darüber kaum gesprochen wurde. Wie ein Fakt, den man nicht mehr hinterfragt. Ich habe dann gerade im Beruf auch immer versucht, das Thema zu vermeiden. Als POC will man schließlich nicht auf seine Hautfarbe reduziert werden. Der Wendepunkt war für mich der Tod von George Floyd. Da habe ich erstmals gespürt, dass es in der Gesellschaft eine gewisse Offenheit für die bitter notwendigen Veränderungen gab. Zudem wurde mir bewusst, wie privilegiert ich mit meiner Rolle bin und dass ich auch eine Verantwortung habe, für all jene einzustehen, die eben keine Stimme und keine Möglichkeiten haben sich zu wehren. Ich konnte mich bei diesem Thema daher nicht länger wegducken.

 

Vivien: Welche Rolle spielen Vorbilder in der Agentur-Landschaft aus Deiner Sicht, Matthias? Braucht es heute Vorbilder? Und warum?

Matthias: Vorbilder in der Marketing- und Agenturszene sind heute für das Renommee unserer Branche wichtiger als je zuvor. Die allseits bekannten Cases und Arbeiten von Agenturen, die sich mit wichtigen Themen wie Rassismus und Diversität beschäftigen sind wichtig. Mutige Vorbilder und Menschen, die bei solchen Themen Flagge zeigen und sich dafür persönlich einsetzen sind noch wichtiger.

 

Vivien: Was zeichnet ein Vorbild aus?

Matthias: Vor allem bei den Problemthemen Rassismus, Integration und Benachteiligung von Frauen machen persönliche Erfahrungen und der Umgang mit solchen Situationen ganz besondere Vorbilder aus. Andere Betroffene können sich mit ihnen identifizieren und werden gestärkt solchen Situationen auch mit Mut und mehr Haltung entgegenzutreten.

 

Vivien: Die Werbebranche nimmt sich selbst als international und kosmopolit wahr. Dennoch ist ethnische Vielfalt nicht selbstverständlich. Warum ist das so?   

Simon: Die gefühlte Diversität ist durch internationale Etats und nicht zuletzt durch globale Netzwerkstrukturen auf Agenturseite zu erklären. Man trifft oft auf Muttersprachler:innen, verwendet Englisch als Konferenzsprache. Doch genauso wie ein Erasmusstudium in Stockholm einen noch lange nicht zur Kosmopolit:in macht, darf man auch eine gewisse Expat-Kultur wie es sie zum Beispiel in Berlin gibt nicht überinterpretieren. Sozioökonomisch gesehen sind wir in Deutschland in der Werbung einfach zu homogen. Umso wichtiger wäre es daher zu schauen, wie einfach oder schwer es Kinder von Nicht-Akademiker:innen und aus sogenannten Gastarbeiterfamilien haben, in der Werbung Fuß zu fassen. Die traditionell niedrigen Einstiegsgehälter sorgen sicher nicht für Vielfalt. Und erst recht nicht Rekrutierungsprozesse, bei denen Entscheider:innen einfach ihresgleichen einstellen.

 

Vivien: Du hast auch lange in London und Shanghai gelebt und gehst bald als President/CEO zu 72andSunny nach Amsterdam. Wie nimmst du Deutschland dahingehend im internationalen Vergleich wahr?

Simon: Deutschland hat in meinen Augen eigentlich die besten Voraussetzungen, um auch in Zukunft ganz weit vorne mitspielen zu können. Was ich mir allerdings manchmal wünschen würde: Mehr Mut, mehr Tatkraft, mehr Risikobereitschaft oder schlichtweg mehr Optimismus. Wir sind uns oft selbst der stärkste Gegner. Das habe ich in Shanghai und London anders erlebt.

 

Vivien: Die Jury des THE BEST AGENCY hat dich zum Brave Heart 2021 gewählt und sieht in dir einen Leuchtturm und ein Vorbild für die gesamte Branche.
Welchen Rat hast du für junge und aufstrebende Kollegen?

Simon: Zwei Dinge haben mir in jedem Fall in meiner Laufbahn sehr geholfen. Da wäre zum einen das Prinzip des Mentoring, das gerade der Nachwuchs meines Erachtens viel zu wenig nutzt. Dabei müssen wir ja gar nicht alle von Anfang an alles souverän und perfekt beherrschen. Und wir brauchen uns nicht davor zu scheuen, Rat und Unterstützung von erfahrenen Kolleg:innen einzuholen, auch abseits der Berichtslinien. Ich bin immer sehr gut damit gefahren, auch Unsicherheiten zu teilen und so neue Perspektiven zu gewinnen. Klar, man muss sich diese Art von Unterstützung auch erarbeiten und Vertrauen aufbauen. Aber es lohnt sich. Das gilt im Übrigen auch umgekehrt für die Mentor:innen.

Zum anderen gilt es, sich stets die eigene Neugier, sowie den Hunger zu bewahren, die einen in die Kreativbranche geführt haben. Beides verrät sehr viel darüber, was mich tatsächlich antreibt und welchen Beitrag ich am Ende leisten möchte. Wer den Fokus immer nur auf den nächsten Karriereschritt lenkt, verliert die Orientierung. Man braucht diese ehrliche, intrinsische Motivation als Kompass und als Energiequelle zugleich. Nicht zuletzt, um auch bei Gegenwind in der Lage zu sein, Widrigkeiten in Chancen zu übersetzen.